Welchen Schaden Garantien anrichten: Oder was Riester und die Silicon Valley Bank gemeinsam haben.

Das Wort „Garantie“ lieben wir alle, denn es suggeriert Sicherheit. Welchen Schaden eine Garantie anrichten kann, ist den meisten weniger bekannt. Investment-Riester-Produkte und die Silicon Valley Bank wurden 2022 zum Opfer der gleichen verhängnisvollen „Mechanik“.

Das Jahr 2022 hat investmentorientierten Riester-Kunden einen Supergau beschert – Garantie sei Dank. Kaum davon betroffen waren versicherungsbasierte Riester. Mehr dazu unten.

Hier der Verlauf eines tatsächlichen Investmentfonds-Riester-Produktes seit Januar 2022 bis heute:

Was ist passiert? Anfang der 2000er-Jahre wurde die Riester-Rente eingeführt, um den Bürgern den Ausgleich der neusten Kürzungen der gesetzlichen Rente zu erleichtern. Sie wurde vom Gesetzgeber mit einer Kapitalerhaltsgarantie per Rentenbeginn ausgestattet, d.h. mindestens die Summe aller Einzahlungen ist per Rentenbeginn garantiert. Anders gesagt: Mindestens 0% Rendite. Unterwegs darf das Guthaben jedoch schwanken und somit darf die Anlage renditeorientierter erfolgen. Die Idee: Möglichst viel Portfolioanteil im Aktienfonds und nur ein kleiner Teil zur Absicherung der Garantie.

Das hat auch jahrelang hervorragend funktioniert, wie ein Rückblick bis 2008 beim gleichen konkreten Produkt zeigt. Es ging wie im Bilderbuch nach oben.

Warum nun dieser überraschend starke Absturz 2022?

Dazu müssen wir zum einen den Garantie-Mechanismus verstehen und zum anderen die Marktentwicklung anschauen.

Der Garantiemechanismus

Um die Garantie auf Laufzeitende gesetzeskonform zu gewährleisten, schaut der Algorithmus der Fondsgesellschaft jeden Tag ins Portfolio. Ist der Rentenbeginn noch lange hin und das Guthaben weit über den eingezahlten Beiträgen, wird die Aktienquote erhöht. Je höher das allgemeine Zinsniveau, desto weniger Festzinsfonds brauchen wir, um auf Laufzeitende garantiert mindestens eine 0% Rendite zu erreichen, selbst wenn die Aktienfonds fallen. Hier können wir zum ersten Mal aufhorchen. Die Zinsen sind über Jahre hinweg immer weiter gesunken, da die Zentralbanken erst in der Euro-Krise, dann in der Corona-Krise immer mehr Staats- und Unternehmensanleihen gekauft haben, um das Renditeniveau zu senken und somit Staaten und Unternehmen die Geldversorgung zu sichern. Entsprechend sensibler reagiert der Algorithmus auf Rückgänge am Aktienmarkt.

Die Marktentwicklung 2022

Und so kam es dann auch. Zunächst sind 2022 im ersten Halbjahr die Aktienkurse spürbar gefallen – unter anderem auf Grund der Kriegsereignisse in Europa. Der MSCI World Index verlor im ersten Halbjahr rund 15%. Auf Grund der nur noch niedrig verzinsten Festzinsanlagen musste der Garantie-Algorithmus einen großen Teil der Riester-Guthaben in Festzinsanlagen umschichten, um die Garantie zu sichern.

Parallel zog die Inflation massiv an (kriegsbedingte Energiekrise, Lieferketten nach Corona noch immer stockend, Arbeitskräftemangel…). Die US-Zentralbank machte eine 180 Grad Wende bei der Zinspolitik und erhöhte die Leitzinsen innerhalb von nur 12 Monaten ab April 2022 von knapp über Null auf inzwischen rund 5%. Die europäische Zentralbank war gezwungen, ähnlich zu reagieren, war aber etwas zögerlicher. Auf jeden Fall verloren insbesondere langlaufende Festzinspapiere deutlich an Wert. Denn wer will ein 1%-Papier kaufen, wenn es ein aktuelles mit 5% Verzinsung gibt? Der Nachteil wird durch den gefallenen Preis ausgeglichen.

Fassen wir den ungünstigsten Fall zusammen: Das Riester Portfolio ist Anfang 2022 fast vollständig in Aktien investiert. Auf Grund der Kursrückgänge schichtete der Algorithmus im Frühjahr und Sommer zunehmend in Festzinspapiere um. Die Zinssteigerungen entwerten in der Folge genau diese Festzinspapiere. So konnte obiges Portfolio 2022 rund ein Drittel seines Wertes verlieren.

Die Garantie war gut gemeint, hat aber in dieser Konstellation großen Schaden angerichtet.

Und die Silicon Valley Bank (SVB)?

Die SVB wurde in der Niedrigzinsphase von ihren erfolgreichen Kunden mit Cash-Einlagen überschüttet. Milliarden Cash auf Girokonten. Die Zentralbank führt die Konten der Banken und wollte dafür Strafzinsen haben. Um diese gegenzufinanzieren, kaufte die SVB lang laufende US-Staatsanleihen. Diese verloren wie bei Riester durch die Zinssteigerungen massiv an Wert. Die SVB-Kunden zogen in den wirtschaftlich schwierigeren Zeiten im Laufe des Jahres 2022 massiv Cash wieder ab. Die SVB musste die entwerteten Staatsanleihen mit massiven Verlusten verkaufen, um die Liquidität bereit zu stellen. So war das Eigenkapital der Bank ruck zuck aufgebraucht und die Bank musste geschlossen werden.

Sowohl Investment-Riester-Produkte als auch die SVB wurden also von den massiven Zinssteigerungen kalt erwischt, die keiner in dieser Schärfe erwartet hatte, ähnlich wie kaum einer den Krieg in Europa für möglich hielt.

Was tun mit einem Investment-Riester-Produkt?

Zunächst ist zu unterscheiden zwischen Bankdepot-basierten Riester-Produkten und Versicherungs-Riestern. Jene bei der Depotbank haben obiges Szenario voll abbekommen, da die Garantie-Mechanik für jeden einzelnen Vertrag individuell greift. Die Versicherungsriester mit Aktienfondsanteil haben natürlich auf Grund des Kursrückgangs auch etwas gelitten. Da je nach Abschlusszeitpunkt die Garantie-Komponente einen relativ hohen, dauerhaft garantierten Zinssatz von z.B. 3% aufweist, musste der Algorithmus weit weniger aus Aktienfonds aussteigen. Somit konnte auch die zwischenzeitliche Aktienmarkterholung heilsam wirken. Die Versicherungskonzerne habe in ihren milliardenschweren Garantietöpfen, die kollektiv für alle Kunden gemanagt werden, natürlich auch Festzinspapiere liegen, die auf Grund der Zinssteigerungen an Wert verloren haben. Die Bilanzierungsregeln für Versicherer verlangen aber keine sofortige Abschreibung. Es sind „nur“ stille Lasten. Die Garantiezinsen werden zum Teil auch noch aus uralten lang laufenden Staatsanleihen erwirtschaftet. Das ist also alles etwas gemächlicher.

Was also tun?

Denkbar ist eine Kündigung. Riester ist jederzeit kündbar. Der Gegenwert wird abzüglich Förderung (Zulagen und Steuerersparnis) ausgezahlt. Übersteigt das verbleibende Guthaben die Eigenbeiträge, so sind diese Gewinne zu versteuern.

Alternativ wäre das Guthaben zu einem anderen Anbieter übertragbar, z.B. zu einer Versicherung. Leider gibt es dort inzwischen auch nur noch minimale Garantiezinsen, so dass die neuen Produkte dort fast der gleichen Problematik ausgesetzt sind wie im Bankdepot.

Denkbar ist auch einfach Abwarten. Die Staatsanleihen können sich auch wieder erholen – insbesondere, wenn die Zentralbanken auf Grund von Rezessionsängsten die Zinsen wieder senken sollten.

Vielleicht wird Riester auch bald vom Garantiezwang befreit. In der betrieblichen Altersvorsorge gibt es schon Anzeichen, dass der Gesetzgeber Produkte ohne Garantie zulässt (bisher nur in großen Tarifverträgen) oder zumindest eine Garantieabsenkung erlaubt (z.B. auf 80% oder besser sogar nur 60% der eingezahlten Beiträge). Dadurch werden die oben beschriebenen Effekte minimiert.

Falls Sie erwägen, Riester zu kündigen und auszuzahlen, könnten Sie immerhin die Steuerrückzahlung gegenkompensieren, indem der Betrag in einen steuerlich absetzbaren Basisrentenvertrag („Rürup“) eingezahlt wird. Rürup ist seit eh und je ohne Garantie erhältlich. Dort existiert die beschriebene Problematik also nicht. Und seit 2023 ist Rürup zu 100% absetzbar. Zudem können pro Person hohe Summen steuerlich geltend gemacht werden – im besten Fall bis zu über 53.000€ pro Jahr.

Auf die Basisrente und andere Formen der Altersversorgung gehe ich analytisch vergleichend in meinem kürzlichen Beitrag ein: Betriebs-, Basis-, Privatrente und Onlinebank: Welche Anlageform ist am effektivsten für die Rente?